09/05/2000 Vienna

Speech by the High Representative, Wolfgang Petritsch at the Volksbank: “Politische Rahmenbedingungen und Perspektiven für BiH”

Sie können sich vorstellen, dass ich häufig gefragt werde, ob meine Mission in Bosnien und Herzegowina nicht eine “mission impossible” ist.

Es ist schon richtig, der Balkan hat einen sehr schlechten Ruf. Seine Geschichte ist konfliktgeladen und blutig. Ein friedliches Zusammenleben der Balkanvölker scheint Außenstehenden ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Sich die Balkanstaaten gar als Mitglieder der Europäischen Union vorzustellen, wird in das Reich der Phantasie verwiesen.

Meine Damen und Herren,

natürlich muß ich schon aufgrund meiner Position sagen, daß solch eine Zukunft möglich und sogar realistisch ist. Aber ich bin auch wirklich persönlich davon überzeugt. Es wird lange Zeit dauern und viel Geduld seitens der Internationalen Gemeinschaft erfordern. Aber Bosnien und Herzegowina, wie auch die übrigen Balkanstaaten, können demokratische Staaten werden, in denen die ethnische Zugehörigkeit ihre Bürger nur noch einen kulturellen, aber keinen bestimmenden politischen Faktor mehr darstellt.

Fünf Jahre nachdem das Daytoner Friedensabkommen unterschrieben wurde, glaube ich, daß wir in Bosnien und Herzegowina eine erfolgversprechende Strategie sowie die nötigen Instrumente besitzen, sie umzusetzen.

Bevor ich auf die Einzelheiten dieser Strategie eingehe, würde ich Ihnen gerne einen kurzen Überblick zur politischen und wirtschaftlichen Situation in Bosnien und Herzegowina geben.

Vor dem Krieg war Bosnien und Herzegowina eine der sechs Republiken, aus denen das Sozialistische Jugoslawien bestand. Das kommunistische Gesellschaftssystem war in Jugoslawien etwas liberaler als in den Ostblockstaaten, aber es zeichnete sich ebenso durch ein Ein-Parteien-System, die Unterdrückung von Opposition und eine zentral gelenkte Wirtschaft aus. Wirtschaftlich gesehen, fiel Bosnien und Herzegowina die Rolle des Zulieferers für die anderen Republiken zu. Es gab viel Schwerindustrie, Kohle-, Stahl-, und Energieproduktion, sowie natürliche Rohstoffe. Die Wirtschaft war nur zu einem geringen Maße an Fertigung und Endproduktion orientiert. Leider wurde auch die landwirtschaftliche Produktion vernachlässigt, was heute eines unserer grossen Probleme ist, da in diesem an sich arbeitsintensiven Sektor kaum Leute beschäftigt sind.

Die Kriege, mit denen das Sozialistische Jugoslawien auseinanderfiel, erfaßten Bosnien und Herzegowina im Frühjahr 1992, als es seine Unabhängigkeit erklärte. Zuerst Serbien und später dann auch Kroatien griffen das Land mit dem Ziel an, sich große Teile einzuverleiben, und instrumentalisierten dazu die in Bosnien und Herzegowina lebenden Serben und Kroaten.

Das Dayton -Abkommen Ende 1995 markierte das Ende dieser europäischen Tragödie, die Elemente eines Agressionskriegs mit jenen eines Bürgerkriegs vereinte. Nach Schätzungen waren über 200 000 Menschen getötet worden, fast die Hälfte der Bevölkerung, rund 2,1 Millionen der ursprünglich 4,5 Millionen Einwohner, waren aus ihrer Heimat geflohen oder vertrieben worden, viele von ihnen ins Ausland, auch und besonders nach Österreich. Das Gros der von den Vertreibungen am stärksten betroffenen Bevölkerungsgruppe, die Bosniaken, hielt sich unter elenden Verhältnissen in Flüchtlingslagern im bosniakisch-kontrollierten Gebiet auf. Ähnlich ging es den mehr als 100 000 Serben, die 1995 aus der kroatischen Krajina in die Republika Srpska geflohen waren. Das Bruttoinlandsprodukt war auf ca. 20 Prozent des Vorkriegsniveaus gefallen.

Der Frieden kam erst nach schwierigen Verhandlungen und unter erheblichem internationalen militärischen Druck zustande. Es sah den Fortbestand des Staates Bosnien und Herzegowina vor, aber das Land wurde in zwei sogenannte Entitäten mit hoher Autonomie aufgeteilt: die bosniakisch-kroatische Föderation und die Serbische Republik.

Nach Abschluß des Friedensvertrags wurden 60.000 NATO-geführte Truppen in Bosnien und Herzegowina stationiert. Sie waren für die militärische Befriedung des Landes zuständig. Der Hohe Repräsentant, dessen Amt in Dayton geschaffen wurde, war laut Annex 10 die höchste Instanz in der Umsetzung (“final authority in theatre”) der zivilen Bestimmungen des Vertrags. Das Abkommen weist ihn unter anderem an:

  • die Umsetzung des Friedensabkommens zu überwachen;
  • zu diesem Zweck engen Kontakt zu den Vertragsparteien zu halten;
  • die Aktivitäten der internationalen zivilen Institutionen und Organisationen in Bosnien und Herzegowina zu koordinieren;
  • für die Lösung aller Probleme, die in Verbindung mit der zivilen Implementierung auftreten, zu sorgen.

Im ersten Friedensjahr, 1996, kam die Friedensimplementierung nur mühsam voran. Die Worte des Hohen Repräsentanten, damals der frühere schwedische Premierminister Carl Bildt, und Verweise auf das Daytoner Abkommen verhallten größtenteils unbeachtet, und die Sanktionen, die er beispielsweise über die Republika Srpska verhängte, störten die dortigen Machthaber nicht, da sie sich aus illegalen Quellen finanzierten.

Der wirtschaftliche Wiederaufbau begann jedoch recht zügig. Die Weltbank und die Europäische Kommission erarbeiteten ein Wiederaufbauprogramm, das Mittel in Höhe von 5,1 Milliarden Dollar im Laufe von vier Jahren erforderte. Damit sollte vor allem die Infrastruktur des Landes wiederhergestellt werden. Ein Drittel des Straßennetzes und ein Drittel der Telefonanschlüsse waren im Krieg zerstört worden. Die Elektrizitätsversorgung war auf die Hälfte des Vorkriegsniveaus gefallen. Die Industrieanlagen, die nicht zerstört oder geplündert worden waren, waren mittlerweile veraltet. Und Bosnien und Herzegowina hatte durch die Unterbrechung aller Wirtchaftsbeziehungen und den Wegfall des jugoslawischen Marktes keinerlei Absatzmärkte.

Verehrte Damen und Herren,

ein weiterer wichtiger Wendepunkt war die Konferenz des Friedensimplementierungsrates in Bonn im Dezember 1997. Dieser Rat besteht aus den 55 Regierungen und Organisationen, die den Friedensprozeß in BiH lenken und unterstützen. In Bonn wurde der Hohe Repräsentant damit beauftragt, bosnisch-herzegowinische Politiker und öffentliche Funktionsträger aus ihren Ämtern zu entfernen, wenn sie gegen die Bestimmungen des Daytoner Abkommens verstoßen. Außerdem wurde er ermächtigt, selbst “Entscheidungen” mit Gesetzeskraft zu verfügen, wenn die gesetzgebenden Organe ihren Pflichten nicht nachkommen.

Das gab dem Friedensprozess neuen Schwung. Mit Hilfe dieser weitrechenden Vollmachten wurden längst überfällige Gesetze verabschiedet, oder etwa neutrale Autokennzeichen eingeführt, die zu völliger Bewegungsfreiheit in Bosnien und Herzegowina führten und eine einheitliche, stabile Währung, die Konvertibile Mark, geschaffen.

Längerfristig hat die Nutzung der Vollmachten allerdings zu einem Abhängigkeitssyndrom geführt. Die einheimischen Parteien begannen, sich auf die politischen Interventionen des Hohen Repräsentanten zu verlassen. Sie konnten sich, wiewohl in der Regierung, gleichzeitig als Opposition gerieren und die vorgeblichen Ziele ihrer jeweiligen Entscheidung kompromisslos verteidigen. Die Internationale Gemeinschaft wurde immer tiefer auch in die kleinsten Probleme hineingezogen – beispielsweise zu entscheiden, welcher Seite ein Fußballfeld in einer Gemeinde gehörte. Das Büro des Hohen Repräsentanten wurde zur einer Parallelregierung mit nahezu 800 Angestellten, darunter etwa 300 hochqualifizierten internationalen Experten und ca. 20 Außenstellen in Bosnien und Herzegowina.

Das war eines der Probleme, die die Situation in Bosnien und Herzegowina kennzeichneten, als im August vor einem Jahr meine Ernennung in das Amt des Hohen Repräsentanten vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bestätigt wurde.

Nicht zu vergessen ist, dass Bosnien und Herzegowina natürlich auch an all den anderen Problemen leidet, an denen postkommunistische Gesellschaften kranken: den meisten Politikern fehlt ganz einfach Verantwortungs- und Demokratiebewußtsein, und die Masse der Bürger ist politisch unmündig, fühlt sich machtlos und dem Staat ausgeliefert.

Trotz alledem hat es seit Kriegsende natürlich enorme Fortschritte gegeben, sicherlich vor allem dank des enormen Engagements der Internationalen Gemeinschaft. Während sich 1996 noch niemand in die andere Entität wagte, war das 1999 eine Alltäglichkeit. Die Medien waren offener und kritischer geworden. Die Polizei und Justiz hatten begonnen, sich vom politischen Einfluß zu befreien und ihre ganz normalen Pflichten zu erledigen – natürlich nicht immer und nicht im erforderlichen Maße, aber der Fortschritt war sichtbar. Zudem ist zu spüren, daß die Bevölkerung zunehmend weniger an nationaler Rhetorik interessiert ist, sondern Antworten auf die dringenden Fragen des Alltags sucht: Arbeitsplätze, Entlohnung, eine gute Bildung, regelmäßige Pensionen.

Gleichzeitig aber kündigten die Geldgeberländer im vergangenen Jahr eine drastische Reduzierung der Geldmittel für Bosnien und Herzegowina an. Der Friedensprozeß hat schon eine beträchtliche Zeit in Anspruch genommen, nun muß auch das Kosovo wiederaufgebaut werden, da war der neue Stabilitätspakt, und viele der Geberländer mußten auch zuhause finanzielle Engpässe überwinden.

Es war zweifellos Zeit für eine Neubewertung. Mir war bewußt, daß die Internationale Gemeinschaft ihre Bemühungen kritisch evaluieren und auf bestimmte, wesentliche Schwerpunktbereiche konzentrieren mußte – auf strukturelle Probleme, deren Lösung neue, positive Entwicklungen in Gang setzen und die Rahmenbedingungen für einen europäisch orientierten Rechtsstaat schaffen konnte.

Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer,

ich sah die dringende Notwendigkeit gekommen, daß die einheimischen Politiker und Institutionen, und auch die Bürger, Verantwortung für die Probleme Bosnien und Herzegowinas übernehmen, und aufhören müssten, ständig auf die Internationale Gemeinschaft zu verweisen oder sich gegenseitig die Schuld für die Probleme zuzuschieben.

Für dieses Konzept habe ich den aus der anglo-amerikanischen Gesellschaftstheorie stammenden Begriff “ownership” übernommen. Die politischen Eliten und Bürger müssen sich mit ihrem Land und seinen Problemen zu identifizieren beginnen, von ihnen sozusagen “Besitz” ergreifen, und konstruktiv und vor allem gemeinsam nach Lösungen suchen. “Ownership”, das Besitzergreifen von Problemen, oder am besten gesagt, die Eigenverantwortlichkeit, ist natürlich ein subtiler und langwieriger Prozeß, der grundlegendes Umdenken erfordert und klar in den Kontext einer Zivilgesellschaft verweist.

Allerdings haben wir als Internationale Gemeinschaft die Möglichkeit, über strukturelle Reformen die Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Politiker zu Verantwortungsbewußtsein zwingen – ihnen einfach nicht gestatten, ihre verantwortungslose Politik weiter zu betreiben; Bedingungen, die auf der Seite der Bürger mündiges Handeln fördern, wobei als wichtigste Kontrollinstanz eine funktionierende Justiz gelten kann.

Obwohl mir der Zweischneidigkeit des Schwertes “Vollmachten des Hohen Repräsentanten” bewußt ist, habe ich sie im vergangenen Jahr zu diesem Zweck energisch genutzt, jedoch nur, damit ein strategischer Fortschritt verbunden war. Ich habe wichtige Gesetze verfügt; institutionelle Reformen betrieben, um Organe aufzubauen, die diese Gesetze umsetzen und Verstösse gegen sie ahnden; und, wenn nötig, diejenigen Politiker aus ihren ämtern entfernt, die sich der Demokratisierung und raschen Entwicklung Bosnien und Herzegowinas entgegenstemmen.

Meine Damen und Herren,

eine der wichtigsten Bestimmungen des Daytoner Friedensvertrags, die nur ungenügend umgesetzt wurde, ist das Recht auf Flüchtlingsrückkehr. Das Kernproblem war die Rückkehr von Angehörigen einer Volksgruppe in Gebiete, die nun von einer der beiden anderen Volksgruppen kontrolliert waren. Diese Rückkehr wird “Minderheitenrückkehr” genannt.

Bis zum Sommer 1999 hatte es nur 90.000 Minderheitenrückkehrer gegeben. Zu dem Zeitpunkt gab es laut Angaben des UNHCRs innerhalb Bosnien und Herzegowinas noch mehr als 800.000 Flüchtlinge, weitere 350.000 warteten im Ausland darauf, nachhause zurückkehren zu können. Das war natürlich vier Jahre nach Kriegsende, wobei viele schon seit 1992 vertrieben waren, nicht akzeptabel.

Ein weiteres Problem, an dem Bosnien und Herzegowina ernsthaft krankte, war die Schwäche der zentralstaatlichen Organe: die dreiköpfige Präsidentschaft, das Staatsparlament und der sogenannte Ministerrat. In diesen Gremien sind die drei Volksgruppen paritätisch vertreten und haben Veto-Rechte. Die Organe sind in sich zerstritten und oft entscheidungsunfähig, da keine Seite kompromißbereit ist.

Doch Bosnien und Herzegowina muß als Staat zu funktionieren beginnen, um, nach außen hin, in internationalen Beziehungen und Handel auftreten zu können, und, nach innen hin, seinen Bürgern wirkliche Dienste anbieten zu können. Viel Macht liegt bei den Entitäten, aber der Staat hat trotzdem bestimmte Funktionen zu erfüllen, denen er nicht nachgekommen war.

Der dritte Bereich, in dem ich dringenden Handlungsbedarf sah, war die Wirtschaft des Landes. Sie funktionierte nach wie vor nach zentralwirtschaftlichen Prinzipien und war in einem besorgniserregendem Zustand. Arbeitslosigkeit belief sich auf 50%. Die Wachstumsrate des Bruttosozialproduktes hatte 1996 aufgrund des beginnenden, international finanzierten Wiederaufbaus 70% betragen, war aber 1998 auf 13% und 1999 auf 10% gefallen.

Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer,

auch im Wirtschaftsbereich hatte sich das Prinzip der ethnischen Dreiteilung konsequent durchgesetzt, und die großen Versorgungsbetriebe – Wasser, Strom, Gas – wie auch die Telekommunikationsbetriebe arbeiteten auf wenig kosteneffektive Weise auseinandergerissen und getrennt. Die großen Kombinate der Vorkriegszeit hatten ihre Märkte verloren und dümpelten vor sich hin. Privatinitiative wurde in kommunistischer Tradition durch zu hohe Steuern und bürokratische Hürden erstickt, und ein Großteil der Wirtschaftsaktivitäten liefen im dunklen ab. Korruption wucherte. Die Betriebe, die nach wie vor Profit erwirtschafteten, wie beispielsweise die staatlichen Ölfirmen und -vertreiber oder die Telekommunikationsbetriebe, wie auch der gesamte Zahlungsverkehr standen unter Kontrolle der 3 herrschenden nationalistischen Parteien, die den Profit nach Belieben anderen Betrieben zukommen liessen oder selbst verwendeten. Das Land hatte noch nicht privatisiert, und ein Großteil der Gesetze stammte aus der kommunistischen Zeit. Wie angekündigt, sollten internationale Mittel nun spärlicher fliessen. Bosnien und Herzegowina mußte dringend Wirtschaftsreformen durchführen, die die Privatinitiative und Investitionen und damit den Aufbau einer sich selbst tragenden Wirtschaft fördern würden.

Meine Damen und Herren,

Wirtschaftsreformen, Flüchtlingsrückkehr und eine Stärkung der zentralstaatlichen Organe sind also die drei Schwerpunktbereiche, auf die ich meine Bemühungen konzentriere. Dazu musste ich die Reform des Rechtswesen, die bereits begonnen hatte, intensivieren, Bosnien und Herzegowinas Integration in Europa fördern und im Bereich des Bildungswesens, der bisher von der Internationalen Gemeinschaft etwas vernachlässigt worden war, aktiver werden.

In den Monaten nach meinem Amtsantritt arbeiteten wir eine Strategie aus, die sich auf strukturelle Reformen in diesen Bereichen konzentrierte. Im Mai dieses Jahres wurde sie vom Friedensimplementierungsrat bei seinem Treffen in Brüssel angenommen, und stellt damit unser Arbeitsprogramm für die nächsten zwei Jahre dar.

Ein Bereich, in dem wir erstmals substantiellen Fortschritt erzielt haben, ist die Flüchtlingsrückkehr. Ich werde ein paar Worte dazu sagen und dann ausführlicher auf die Aktivitäten im Wirtschaftsbereich eingehen, da ich annehme, daß Sie dieser Aspekt am meisten interessiert.

Im Herbst letzten Jahres habe ich die gesetzlichen Grundlagen für die Rückgabe von Eigentum so geregelt und vereinheitlicht, dass den Behörden jetzt keine Schlupflöcher mehr bleiben. Die Vertriebenen bekommen ihre Immobilien zurück. Ausserdem habe ich im letzten Jahr (- und auch jüngst wieder-) einen ganze Reihe von Beamten und Politikern aus ihren Ämtern entfernt, die gegen die Flüchtlingsrückkehr gearbeitet haben.

Bisher gibt uns der Erfolg recht. Die Rückkehrerzahlen haben sich im Vergleich zur Vorjahresperiode verdreifacht. Wenn der Trend so weitergeht, könnte dieses zentrale Problem des Krieges in zwei bis drei Jahren gelöst sein. Damit wäre der entscheidende Beitrag zur Befriedung dieses devastierten Landes geleistet.

Durch die Realisierung der Eigentums- und Rückkehrrechte machen die Bürger Bosnien und Herzegowinas erstmals die Erfahrung, daß individuelle Rechte einen Wert haben, weil sie tatsächlich verwirklicht werden können. Das wird ihr Selbstverständnis stärken und in die Lage versetzen, auf die Verwirklichung auch anderer individueller Rechte zu bestehen. Zudem führt der Prozeß ihnen wie auch den lokalen Amtsträgern vor Augen, daß der Staat im Dienste der Bürger zu stehen hat, und nicht umgekehrt. Auch das ist eine Erfahrung, die in Bosnien und Herzegowina neu ist. Und der Prozeß untergräbt das in Bosnien und Herzegowina vorherrschende ethno-zentrierte, kollektivistische Denken.

Auch beim Ausbau und Stärkung der Staatsorgane machen wir Fortschritte. Der unabhängige Verfassungsgerichtshof hat schon schwerwiegende Entscheidungen getroffen, die Schaffung eines Verwaltungsgerichthofs ist in Vorbereitung. Der Ministerrat, die Regierung, arbeitet effizienter als in den vergangenen Jahren. Die parlamentarischen Organe sind zwar immer noch von Nationalisten dominiert, aber die Wahlen im Herbst könnten zu einer konstruktiveren Zusammensetzung dieser Gremien führen.

Meine Damen und Herren,

ich möchte nun kurz auf unsere Aktivitäten im Wirtschaftsbereich eingehen.

Die Transformation von einer “Planwirtschaft jugoslawischen Zuschnitts” zu einem marktwirtschaftlichen System wurde in Bosnien und Herzegowina im Vergleich zu anderen mittel- und osteuropäischen Staaten mit fünfjähriger Verspätung angegangen. Der Krieg wirkte wie ein Konservierungsmittel für das alte Wirtschaftssystem und fügte weitere nachteilige Komponenten wie Schwarzmarkt und illegale Strukturen hinzu. Zudem stand Bosnien und Herzegowina nach dem Krieg einem doppelten Dilemma gegenüber: Wiederaufbau und Transformation zugleich.

Nach der nun nahezu abgeschlossenen Phase des Wiederaufbaus hat der Friedensimplementierungsrat im Mai eine Reformoffensive beschlossen, die auch “soft big bang” genannt wird, um sicherzustellen, dass das Wachstum, bisher “aid-driven”, in Zukunft “investment-driven” sein wird. Dazu sollen in vier Hauptbereichen in den nächsten 18 Monaten entscheidende Fortschritte erzielt werden.

  1. Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsraum in BiH
  2. Wachstum der Privatwirtschaft
  3. Privatisierung
  4. Kampf gegen Korruption

Bosnien und Herzegowina ist gemäß seiner Verfassung ein einheitlicher Wirtschaftsraum, indem freier Verkehr von Gütern, Dienstleistungen, Kapital und Personen garantiert sind. In der Praxis findet man aber noch immer viele Hindernisse, die in der Kriegs- und Nachkriegsordnung entstanden sind. Landesweit geltende oder gleichlautende Regelungen sollen nun den einheitlichen Wirtschaftsraum vorantreiben, insbesondere in Bereichen wie Steuern, Zölle, Normen und Standards.

Ein besonderer Augenmerk der Internationalen Gemeinschaft gilt den strategischen Industrien wie Telekommunikation, Energie, Transport und Medien. Regulierungsbehörden auf gesamtstaatlicher Ebene sollen diese Ebene stärken und gleichzeitig die Dreiteilung in diesen Sektoren zurückdrängen.

Der zweite Reformbereich, das Wachstum der Privatwirtschaft zu forcieren, zielt auf eine Verbesserung des unternehmerischen Umfelds. Es wird keine Privatinvestitionen von Bedeutung geben, solange der Zahlungsverkehr nicht transparent stattfindet, Steuerchaos herrscht, Unklarheiten über Eigentumsverhältnisse bestehen und Unternehmen durch überbordende Bürokratie behindert werden.

Die Demontage der zentralen Zahlungsbüros soll bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein. Diese Zahlungsbüros sind ein kommunistisches Überbleibsel und zwingen alle Geschäftsleute und öffentlichen Institutionen, jede Zahlung über das Zahlungsbüro abzuwickeln. Dabei werden gleichzeitig Steuern einbehalten.

Die Aufgaben der Zahlungsbüros werden von einem privaten Bankensystem sowie Finanzämtern nach westlichem Vorbild übernommen werden. In diesem Sommer haben die Reformen im Bankenbereich durch die Gründung der Volksbank BiH und das Engagement der Raiffeisen Zentralbank in der Market Banka einen entscheidenden Push bekommen.

Eine Steuerreform steht ebenfalls hoch oben auf unserem Arbeitsprogramm. Vereinfachung und Harmonisierung heißt hier die Devise, wobei zur Zeit der Augenmerk auf indirekte Steuern gelegt wird.

Die Privatisierung der staatlichen Betriebe, die unseren dritten Schwerpunkt im Wirtschaftsbereich darstellt, muß in den nächsten Monaten forciert werden. Die sogenannte “kleine” Privatisierung, wie der Name schon sagt, von Kleinbetrieben und auch von staatseigenen Wohnungen, ist schon weit fortgeschritten. Nun muß die “große Privatisierung” in Angriff genommen werden. Um institutionelle Investoren nach Bosnien und Herzegowina zu bringen, setzen wir verstärkt auf Tenderprivatisierung. Internationale Berater werden bei einer Auswahl von 140 Firmen eine effiziente und transparente Durchführung der Privatisierung garantieren.

Im Mittelpunkt steht nicht der bloße Übergang der Eigentümerschaft von Staat zu Privat, sondern das Ziel sind neues Kapital, neue Technologien und neues Management. Nur so können die Firmen ihren Produktivitätsrückstand aufholen und neue Märkte erobern. Kürzlich habe ich im Privatisierungsbereich auch eine Regelung betreffend die Rückgabe von nationalisiertem Eigentum erlassen, die Investoren vor Restitutionsansprüchen schützt.

Der Kampf gegen die Korruption stellt den vierten Hauptpfeiler unserer Wirtschaftsstrategie dar. Korruption unterminiert die Demokratie, verschwendet öffentliche Ressourcen und behindert die Wirtschaftsentwicklung. Eine umfassende Anti-Korruptionsstrategie, die von meiner Behörde erarbeitet worden ist, hat zum Ziel, die illegalen Machtstrukturen auszumerzen und einen Rechtsstaat westlichen Zuschnitts zu etablieren.

Verehrte Damen und Herren,

ich bin davon überzeugt, daß in Bosnien und Herzegowina ein unternehmensfreundliches Umfeld geschaffen werden kann. Neue Unternehmen können in den traditionellen Sektoren – wie Energie, Holz, Baustoffe, Rohstoffe, Textilien – ihre Nischen finden. Das Land muß aber auch den Schritt in Richtung Zukunftssektoren machen. Was ist im Bereich der Informationstechnologien möglich? Sollten wir nicht intensiv die Verbreitung des Internets fördern und Technologiespezialisten ausbilden? Wie kann Bosnien und Herzegowina im Bereich der Telekommunikation profitieren?

Die regionale Perspektive darf bei der Wirtschaftsentwicklung natürlich nicht außer acht gelassen werden. In diesem Zusammenhang stellen der Stabilitätspakt und die Stabilitäts- und Assoziationsabkommen der EU, für die sich Bosnien und Herzegowina hoffentlich qualifizieren wird, vielversprechende Initiativen dar.

Ich habe die österreichische Perspektive bewusst ausgespart, darüber können andere in dieser Runde kompetenter sprechen. Aber ich meine dass wir als mittelbarer Nachbar, besonders auch mit kroatischen und slowenischen Partnern zusammen, jedenfalls einen bedeutenden psychologischen Startvorteil in BiH vorfinden.

Meine Damen und Herren,

ich hoffe, daß es mir gelungen ist, Ihnen einen Einblick in die Entwicklung Bosnien und Herzegowinas. Bosnien und Herzegowinas Zukunft als demokratischer und wirtschaftlich attraktiver Rechtsstaat ist kein Produkt reinen Wunschdenkens, keine “mission impossible”, sondern eine reale Möglichkeit.

Aber wie ich zu Anfang gesagt habe: es wird einige Zeit in Anspruch und beharrliches Engagement der Internationalen Gemeinschaft erfordern. Für sie gilt wie für die Wirtschaftstreibenden unter Ihnen: In BiH kann nur erfolgreich sein, wer bereit ist, ein langfristiges Investment einzugehen, und manche Widerstände zu überwinden. Ich glaube aber fest an die Erfolgschancen der Wirtschaft, wie auch der Politik der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien.

Vielen Dank für’s Zuhören.