07/11/2003 Frankfurter Allgemeine Zeitung
Paddy Ashdown

Artikel fuer die FAZ: “We want to achieve legislation stamped “Made in Bosnia””

 

Vor drei Monaten fiel das Saddam-Regime, und jeder Tag bring neue Beweise für die enormen Schwierigkeiten Frieden zu schaffen.

Für die Internationale Gemeinschaft ist Nationenbildung nicht neu.

In Bosnien-Herzegowina sind wir lange dabei. Vor nahezu acht Jahren begannen die Waffen zu schweigen. Aber wir sind immer noch stärkstens engagiert – langsam, beständig den demokratisch gewählten Autoritäten zu helfen, die aus dem Krieg resultierenden Schäden zu beheben.

Das Bosnien von 2003 ist fast nicht mehr zu vergleichen mit dem Land, das aus den Schrecken des Krieges hervorging. Kommen Sie heute nach Sarajevo und Sie finden eine quirlige Stadt mit Super- und Baumärkten. Beinahe eine Million Flüchtlinge sind in ihre Häuser zurückgekehrt. Bosnien hat eine der stabilsten Währungen auf dem Balkan. Bewegungsfreiheit nimmt man heute als gegeben hin, nachdem einer meiner Vorgänger Nummernschilder eingeführt hat, die ethnische Anonymität garantieren – ein Wandel, dem sich viele Politiker jener Zeit widersetzten, der aber von der Bevölkerung herzlich begrüßt wurde.

So wurden, von der Weltpresse nicht weiter beachtet, die Dinge besser.

Was soll all dies nahezu ein Jahrzehnt nach dem Krieg für die Rolle der Internationalen Gemeinschaft hier in Bosnien bedeuten? Müssen wir in unserem Engagement nachlassen und insbesondere auf einige der Machtbefugnisse verzichten, über die wir verfügen?

Die Fragen sind berechtigt. Eine der größten Fragen, mit der sich jede internationale Mission konfrontiert sieht, ist die Frage, wie man Friedensimplementierung so schnell wie möglich voranbringen kann, aber dies gleichzeitig in bleibender Weise, und ohne die demokratische Entwicklung vor Ort zu verzögern. Das sind die Probleme, denen wir heute in Bosnien gegenüber stehen; und morgen zweifelsohne in Irak.

Natürlich ist jede Situation anders. Bosnien richtet sein Augenmerk heute auf die Mitgliedschaft in EU und NATO. So argumentieren manche, Bosniens Probleme glichen mehr und mehr denen von Transitionsländern, Polen und Ungarn zum Beispiel, und Bosnien sollte sie alleine zu lösen versuchen. Sie vergleichen die Machtbefugnisse der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina mit denen eines Diktators oder Kolonialgouverneurs und erklären, dies habe in einem modernen, demokratischen Europa keinen Platz.

Als liberaler Politiker begreife ich solche Argumente. Bosnien ist in weit besserer Verfassung als vor acht Jahren. Aber Gefährdungen bleiben bestehen. Fragen Sie Bosnier, ob sie die Internationale Gemeinschaft ziehen sehen wollen; die Mehrheit wird sagen „noch nicht“. Dieses Land leidet weiterhin unter einem dysfunktionalen politischen System, schwachen Institutionen und der andauernden Bedrohung durch Verbrechen und Korruption. An diesen Problemen arbeitet man, doch gelöst sind sie noch nicht. Der Prozeß kommt zu seinem Ende, doch abgeschlossen ist er noch nicht. Fahren wir unser Engagement zu schnell, noch bevor der Frieden endgültig gesichert wurde, herunter, hieße dies offen gesagt, mit der Zukunft dieses Landes – und dieser Region – spielen.

Der Internationalen Gemeinschaft wird zu Recht vorgeworfen, sie unterlasse es entschieden zu handeln, um den Krieg hier zu einem echten Ende zu bringen. Aber sie hat widerwillig Respekt dafür erworben, daß sie größere Entschiedenheit zeigt den Frieden zu implementieren; auch dafür, wieviel Mittel sie investierte und weiterhin in diese Aufgabe investiert

Das alles bedeutet nicht, daß es keiner ausführlichen Debatte über die Machtbefugnisse der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien bedürfte, oder darüber, wie der Übergang von kraftvoller internationaler Überwachung zu echter heimischer Selbstverwaltung vonstatten gehen sollte.

Tatsächlich hat der Hohe Repräsentant in Bosnien die Macht Gesetze zu erlassen und aufzuheben und Obstruktionspolitiker zu entlassen. Es ist aber nicht wahr, daß er hierfür keine Rechenschaft abzulegen hätte. Die Autorität des Hohen Repräsentanten ist ihm vom Friedensimplementierungsrat (Peace Implementation Council, PIC) gegeben, der aus den 50 Ländern besteht, denen es auferlegt ist, über die Einhaltung des Friedensabkommens von Dayton zu wachen, darunter übrigens auch Bosnien-Herzegowina. Die Entscheidungen dieses Gremiums wiederum werden international überwacht, auch vom Verfassungsgerichtshof Bosnien-Herzegowinas und, letztendlich, vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, da Bosnien-Herzegowina Mitglied des Europarats ist. Doch die schärfste Kontrolle übt das Volk von Bosnien-Herzegowina aus, von dessen Einverständnis jede internationale Autorität letztlich abhängt. Meinungsumfragen zeigen unverändert, daß Bosnier diese Machtbefugnisse voll unterstuetzen, und glauben, diese Machtbefugnisse werden nicht zu sehr, sondern eher zu wenig ausgeübt.

Dies soll nicht bedeuten, daß unsere Anwesenheit hier länger als notwendig verlängert werden sollte. Meine Aufgabe ist, meine Aufgabe loszuwerden. Deswegen entwarf ich schon bei meiner Ankunft hier vor einem Jahr einen Mission Implementation Plan, der die Aufgaben aufzählt, die erfüllt sein müssen, bevor wir beruhigt die Exekutivbefugnisse aufgeben können, mit denen sich meine Organisation direkt einmischt, und bevor wir mein Amt in eine normalere, in eine Europäische Mission übergehen lassen können, die Bosnien auf der nächsten Etappe seiner Reise in Richtung EU-Mitgliedschaft unterstützt. Wir bahnen bereits heute den Weg für einen solchen Übergang. Die Zahl meiner Mitarbeiter nimmt ab, ebenso das Haushaltsvolumen. Wir haben ein aggressives Programm entwickelt, um Bosnier in Schlüsselfunktionen in unserer Organisation zu bekommen.

Darüber hinaus nutzt meine Organisation zunehmend unsere von Dayton gegebenen Machtbefugnisse, hiesigen Institutionen behilflich zu sein Einverständnis zu erzielen, immer weniger aber, daß wir selbst Gesetze erlassen. So haben wir eine Kommissionen eingesetzt, die fast vollständig aus heimischen Politikern und Experten zusammengesetzt sind, um Bosniens aufgesplittertes Steuersystem, Militärstrukturen und den Nachrichtendienst zu reformieren. Die in diesen Kommissionen entworfene Gesetzgebung – Marke „Made in Bosnia“ – geht bereits ihren Weg durch die Parlamente Bosniens. Dagegen nahm die Zahl der durch den Hohen Repräsentanten erlassenen Gesetze und der von ihm entlassenen Amtsträger in den letzten Monaten signifikant ab; ein Trend, den ich entschlossen bin fortzusetzen.

Die Tatsache, daß wir dem Tag näher kommen, an dem die Internationale Gemeinschaft ihre Machtbefugnisse in Bosnien aufgeben kann, bezeugt, wie weit wir in den letzten Jahren gekommen sind. Doch dieser Fortschritt hat nur gemacht werden können, weil wir die Macht hatten, Probleme zu beseitigen und neue Lösungen aufzutun. Unsere Aufgabe ist es jetzt, mit unseren Freunden in Bosnien diejenigen Aufgaben abzuschließen, die zu Ende gebracht werden müssen, um den Frieden zu sichern, um dieses Land auf dem Weg nach Europa als völlig unabhängige moderne Demokratie zu bringen.