22.02.2002 Die Presse
Wolfgang Böhm

Wolfgang Petritsch: Den Haag ist nicht Nürnberg, keine Siegerjustiz für Milosevic

“Presse”-Gespräch. Bosnien-Beauftragter Wolfgang Petritsch zieht Bilanz über seine Arbeit am Balkan und über das internationale Krisenmanagement.

Von unserem Korrespondenten BRÜSSEL. “DIE PRESSE”: Sie werden Ende Mai ihre Aufgabe als Internationaler Bosnien-Beauftragter beenden. Es gibt wirtschaftliche Fortschritte in der Region. Gibt es auch eine politische Stabilität?

Wolfgang Petritsch: Der sehr große Unterschied zur Lage vor zehn Jahren ist, daß die Wahrscheinlichkeit eines Krieges praktisch auszuschließen ist. Es gibt erstmals demokratische Regierungen in allen Hauptstädten des ehemaligen Jugoslawien. Wie wir zuletzt in Skopje gesehen haben, kann die EU mittlerweile allein mit politischen Druck den Ausbruch eines Kriegs verhindern.

Die Presse: In Bosnien-Herzegowina stehen Wahlen an. Kann es wieder zu einem Auseinanderdriften der Volksgruppen kommen?

Petritsch: Wahlen sind zwar in allen Demokratien eine Gelegenheit, extreme Positionen zum Ausdruck zu bringen. Andererseits gibt es gerade in Bosnien die starke Kontrolle der internationalen Gemeinschaft. So könnten auch diese Wahlen die Demokratie stärken.

Die Presse: Der serbische Ex-Präsident Slobodan Milosevic muß sich derzeit vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal verantworten. Wird dieser Prozeß die Aufarbeitung der blutigen Vergangenheit erleichtern?

Petritsch: Ich halte diese Aufarbeitung mit den Mitteln des Rechtsstaates grundsätzlich für wichtig. Es ist wichtig, daß es im Milosevic-Prozeß um die Aufdeckung der Verantwortung der Spitzenrepräsentanten eines Regimes geht und nicht um die sprichwörtlich kleinen Fische. Hier geht es um die politische Verantwortung für Verbrechen. Ein zweiter Punkt, der Haag etwa von Nürnberg unterscheidet ist der, daß der Gerichtshof von den Vereinten Nationen eingesetzt wurde und damit nicht eine Siegerjustiz darstellt.

Die Presse: Milosevic punktet bei seinen Anhängern mit der Forderung, auch die Verantwortlichen für das Nato-Bombardement zur Rechenschaft zu ziehen. Hat man wirklich kritisch genug die Rolle des Westens beleuchtet?

Petritsch: Ich bin sehr dafür, daß man sich alle Seiten anschaut. Der Vorwurf Mitte der neunziger Jahre an die internationale Staatengemeinschaft war allerdings, zu lange gezögert zu haben und damit an Massakern wie in Srebrenica mitschuldig zu sein. Später lautet der Vorwurf, es sei zu früh eingegriffen worden. Der einzige mögliche Schluß: Konfliktprävention. Es muß verhindert werden, daß es überhaupt so weit kommt.

Die Presse: Damit muß aber auch das Krisenmanagement der EU hinterfragt werden.

Petritsch: Ja, man hatte bisher nicht den Mut, rechtzeitig die notwendigen, vor allem finanziellen, Mitteln zur Verhinderung von Konflikten bereitzustellen. Diese Lehre kann insbesondere die EU aus den Konflikten am Balkan ziehen, auch deshalb, weil es mit ihren militärischen Kapazitäten nicht weit her ist. Andere Konflikte

Die Presse: Das klingt nach Arbeitsteilung: Nato und USA sollen den militärischen Part übernehmen, die EU den zivilen und finanziellen.

Petritsch: Das sollte letztlich als Idealstatus nicht der Fall sein. Aber wir müssen Realisten sein: Das ist die momentane Verfassung in der EU.

Die Presse: Trotzdem muß sich die EU klar werden, wohin der Weg geht.

Petritsch: Längerfristig muß darüber nachgedacht werden, wie Europa seine eigene Rolle definiert. Europa ist eine wirtschaftliche und kulturelle Großmacht, im Vergleich zu den USA aber eine militärische Mittelmacht. Allerdings muß man auch sehen, daß sich die Natur von Konflikten verändert hat. Am Beispiel Afghanistan hat man erkannt, daß die pure Konzentration auf militärisches Übergewicht nicht ausreicht. Gerade der 11. September hat die Verwundbarkeit von starr aufgerüsteten Strukturen aufgezeigt.

Die Presse: Stellt die neue Form der Konflikte auch Österreichs Neutralität in Frage?

Petritsch: In Österreich läuft die Diskussion in die völlig falsche Richtung, in dem man an Begriffen festhält, ohne auf deren Substanz zu schauen. So war es von vornherein falsch, die Neutralität als Stillhalten zu interpretieren. Ich bin Realist: Exklusiv nicht-militärisch kann es genauso wenig geben wie exklusiv militärisch.