20.12.2001 Sueddeutsche Zeitung
Bernhard Küppers

Sueddeutsche Zeitung Interview mit dem internationalen Beauftragten Wolfgang Petritsch”Bosnien ist kein Zentrum des Terrorismus“

Der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in Bosnien, Wolfgang Petritsch, warnt vor Vorurteilen gegen Muslime. In dem Balkanland sehe er kein Zentrum des islamistischen Terrorismus. Der Kärntner Slowene und Südosteuropa-Historiker Petritsch war Botschafter in Belgrad und EU-Unterhändler während der Kosovo-Krise, bevor er sich seit 1999 als Beauftragter für Bosnien um Flüchtlingsrückkehr und zentrale Institutionen des ethnisch geteilten Staatsgebildes bemühte.

Sueddeutsche Zeitung : Wie schätzen Sie das Potenzial eines islamistischen internationalen Terrorismus in Bosnien ein?

Petritsch: Bis auf den einen konkreten Hinweis auf eine indirekte Verbindung zu Osama bin Laden spricht hier nichts für ein Zentrum des internationalen Terrorismus. Eine Gefahr besteht nicht auf Grund der Tatsache, dass hier Muslime leben, sondern dass der hiesige Staat unvollendet ist und seine Institutionen nicht wie anderswo funktionieren. Das hat man ja schon in anderen Formen der organisierten Kriminalität wie etwa dem Frauenhandel gesehen. Es sollte aber keinen gedanklichen Kurzschluss derart geben, dass Muslime und internationaler Terrorismus zusammengehören. Es sind eher die ethnische Teilung oder auch die Unterentwicklung der Polizei in Bosnien, die kriminelle Aktivitäten begünstigen. Ich habe nach den Terroranschlägen in New York und Washington vom 11.September natürlich darauf bestanden, dass die hiesige Regierung mit den internationalen Kräften im Land und im europäischen Zusammenhang gegen den internationalen Terrorismus zusammenarbeitet. Und das ist auch geschehen.

Sueddeutsche Zeitung : Für den Ministerpräsidenten Zlatko Lagumdzija gab es ja wohl auch ein Motiv für mehr Engagement, weil es mehrere Hundert Mudschaheddin aus islamischen Ländern gibt, die im Krieg auf Seiten der bosnischen Armee gekämpft hatten und danach eingebürgert wurden.

Petritsch: Für Lagumdzija war dies eine Gelegenheit zum Beweis, dass seine Regierungskoalition handlungsfähig ist. Und ich denke, dass das Ärgste vorbei ist. Man muss hier aber aufmerksam bleiben, weil in einem Umfeld sozialer Unzufriedenheit und Frustration religiös-ideologisch bestimmte Kriminelle hier vielleicht leichter einen Ansatz finden. Indes muss der muslimischen Bevölkerung unbedingt gezeigt werden, dass es kein Vorurteil gegen sie gibt.

Sueddeutsche Zeitung : Islamistische Kräfte in Bosnien argumentieren, dass die internationale Gemeinschaft statt einer Hatz auf vermeintliche muslimische Terroristen lieber mehr Eifer an den Tag legen sollte, terroristische Feinde der Muslime wie den früheren bosnischen Serbenführer Radovan Karadzic und seinen Armeechef General Radko Mladic zu fassen.

Petritsch: Da liegt sicher ein Schwachpunkt. Ich habe deshalb gerade in der bosnischen Serbenrepublik und einer Belgrader Zeitung gesagt, dass in gewissem Sinne auch Karadzic und Mladic in die Kategorie des Terrorismus fallen. In der aktuellen Situation darf nicht vergessen werden, dass sie jahrelang die Bevölkerung hier terrorisiert haben und vor Gericht gehören. Es sollte aber auch nicht vergessen werden, dass der Westen in den letzten Jahren zweimal in Europa zu Gunsten von Muslimen eingegriffen hat – nämlich erst der Bosniaken, dann der Kosovo-Albaner. Es bleibt trotz allem Tatsache, dass es bei einigem politischen Willen möglich gewesen wäre, Karadzic und Mladic längst vor das Haager Gericht zu bringen.

Sueddeutsche Zeitung : Wessen Wille meinen Sie?

Petritsch: Vor allem seitens der internationalen Gemeinschaft. Es ist unrealistisch, das von den lokalen Behörden zu verlangen. Was man verlangen kann, ist mehr Kooperation. Die gibt es in Bosnien in der bosniakisch-kroatischen Förderation, aber noch immer nicht in der Republika Srpska. Unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft gibt es aber auch dort eine Tendenz, sich jetzt mit dem Gedanken an einen Beitrag dazu vertraut zu machen. Vor einigen Tagen hat ein Funktionär der einst von Karadzic gegründeten Serbischen Demokratischen Partei (SDS) den Aufruf von Premier Mladen Ivanic unterstützt, dass sich Karadzic und Mladic stellen sollten. Ein Test wird nächste Woche der Parteitag der SDS sein. Auf ihm sollen angeblich die Statuten so geändert werden, dass als Kriegsverbrecher Angeklagte nicht mehr Parteimitglieder sein können.

Sueddeutsche Zeitung : Wird denn Karadzic noch als Parteimitglied geführt?

Petritsch: Sie sagen offiziell: Nein.