Interviewer: Sabine Rumpf
Ein typischer Tag beginnt bei mir in der Frühe. Da lese ich
einmal die zwei großen Tageszeitungen, die es hier in Sarajevo gibt:
Oslobodjenje und Dnevni Avaz. Schau mir an, was da drinnen steht, komm dann
ins Büro, da gibt`s dann eine erste große Besprechung mit allen
Abteilungsleitern und mit der Presse und dann beginnen dann eben im Stunden-
oder im Halbstundentakt die Termine im Haus hier und zwischendurch
Telefongespräche, Besuche bei den hiesigen Politikern, Präsidenten,
Premierminister, um eben einzelne Themen zu besprechen. Individuelle
Gespräche mit meinen Abteilungsleitern zu den großen Themen: Wirtschaft,
Flüchtlingsrückkehr, Institutionenbesprechungen, Strategiebesprechungen,
dann sehr oft versuch` ich rauszukommen, um eben meine anderen 16 Büros zu
besuchen, die es in Bosnien gibt und immer wieder - ich glaube sicher 30 %
meiner Zeit - muß ich auch im Ausland verbringen, in Brüssel, bzw. in den
wichtigen Hauptstädten Washington, Moskau, Berlin, und so weiter, um dort
die jeweiligen Regierungen über den Fortschritt zu informieren, sie
weiterzumotivieren unsere Arbeit hier zu unterstützen.
Wolfgang Petritsch ist Hoher Repräsentant in
Bosnien-Herzegowina. Wer er ist und was er eigentlich genau macht, scheint -
zumindest in Deutschland - irgendwie weniger bekannt zu sein. Wenn von den
Problemen Bosnien-Herzegowinas, oder Ex-Jugoslwiens, oder dem Balkan
insgesamt die Rede ist, fällt den Deutschen zuerst der Balkankoordinator
Bodo Hombach oder der für die heimkehrenden Flüchtlinge engagierte Hans
Koschnick ein. Der Hohe Repräsentant hat die Aufgabe, im Auftrag der
Internationalen Gemeinschaft die Umsetzung des Friedensabkommens von Dayton
zu beobachten und zu unterstützen:
Wolfgang Petritsch: Ja, also einerseit habe ich - wie Sie
richtig erwähnen - aufgrund meiner Koordinationsfunktion für den gesamten
zivilen Bereich der internationalen Gemeinschaft hier sehr viel mit anderen
internationalen Organisationen: UNO, OSZE, und viele andere
Hilfsorganisationen zu tun. Natürlich ganz wichtig auch die engen Kontakte
mit dem militärischen Teil der internationalen Präsenz hier. Mit der SFOR.
Aber was mir wirklich am Herzen liegt, ist der enge Kontakt mit den
Menschen. Ich habe durch den - wie ich meine, wirklich ausgezeichneten
Kontakt meiner Mitarbeiter - einen sehr guten Überblick über die
Entwicklung in dem Lande, aber die wirklich Information, die ja sehr stark,
für mich auch, von Gefühlen bestimmt ist, kriege ich durch direkten Kontakte
mit den Menschen und ich fahr`so oft wie möglich hinaus, besuche
Flüchtlingsrückkehrer, versuche zu sprechen mit den sogenannten
Durchschnittsbürgern dieses Landes, versuche ihre Wünsche, ihre Ängste, ihre
Vorstellungen zu erfahren und versuche auch mittzuteilen, (ihnen
mitzuteilen), was möglich ist, und was nicht möglich ist. Was die
internationale Gemeinschaft leisten kann, und was sie nicht leisten kann.
Das halte ich für besonders wichtig, auch wiederum, wie ich vorhin gesagt
habe, um die Menschen zu gleichberech- tigten Partnern zu machen. Sie in das
Bewußtsein zu heben, daß sie in einer Welt leben, wo es auf jeden einzelnen
ankommt und der Staat B.-H. nur dann eine Chance hat, sich inernational auch
dann erfolgreich zu schlagen, wenn jeder einzelne in dem Lande sich auch als
Bürger begreift und nicht bloß als Untertan.
Wolfgang Petritsch gehört derselben Generation an wie
Außenminister Joschka Fischer. Ihn einen `Diplomaten alter Schule` zu nennen
hieße ihn falsch zu charakterisieren. In der Nachkriegszeit geboren, geprägt
von dem Wunsch nach einem friedlichen Zusammenleben, gehört er wohl eher zu
den Diplomaten der neueren Schule. Als Hoher Repräsentant wirkt er jetzt an
der politischen und wirtschaftlichen Neugestaltung eines Landes mit, dessen
Menschen aufgrund jahrzehntelanger Tradition seiner Meinung nach immer noch
viel zu viel `von oben` erwarten. Das Büro des Hohen Repräsentanten ist in
einem Supermodernen Bürogebäude in Sarajevo untergebracht, umringt von hohen
Mauern und Sicherheitsanlagen. Wer das Haus betreten will, muß sich zuerst
auf Waffen durchsuchen lassen, dann am Empfang seinen Ausweis abgeben, um
dann ins Gebäudeinnere geleitet zu werden. Ein scharfer Kontrast: der Wille,
einem darniederliegenden, armen Land auf die Beine helfen zu wollen, und
dann die ständige Präsenz bewaffneten Militärs.
Wolfgang Petritsch: Also ich mußt Ihnen offen sagen, ich bin
nicht sehr glücklich über die zwei Meter hohen Betonwände, die hier mein
Bürogebäude umgeben, aber das ist aus einer anderen Zeit, in einer anderen
Zeit noch geplant worden. In der Tat ist die Sicherheitssituation wesentlich
besser geworden. Auch für die internationalen Vertreter sehe ich hier keine
allzu große Gefahr des Terrorismus oder anderer physischer Bedrohungen. Aber
es ist halt ein Faktum. Für mich ist es auch ein Faktum, die Mauern, die
zweifellos existieren zwischen der internationalen Gemeinschaft, die hier im
Lande tätig ist und der lokalen Bevölkerung, niederzureißen. Das ist ein
Grund gewesen, warum ich von Anfang an auch in den Landessprachen über das
Fernsehen mit den Menschen hier in Kontakt zu treten. Sie direkt
anzusprechen, in ihrer eigenen Sprache, um ihnen auch das Gefühl zu geben,
daß sie gleichberechtigte Partner sind im Wiederaufbau.
Fast fünf Jahre ist der Krieg vorbei. Die Einschußlöcher in
den Gebäuden der Umgebung sind noch genauso, wie sie immer und immer wieder
während des Krieges im Fernsehen übertragen worden waren. Am Geländer der
Brücke über den Fluß ein kleines Mahnmal mit frischen Blumen: genau hier war
es, wo das erste Opfer fiel - ein dreizehnjähriges Mädchen, 1992 von Serben
auf offener Straße erschossen.
Der Hohe Repräsentant Wolfgang Petritsch ist Österreicher
slowenischer Herkunft, in Kärnten aufgewachsen - zweisprachig. Er hat in
südosteuropäischer Geschichte promoviert und gilt als ausgesprochener Kenner
des Balkans. Im August letzten Jahres löste er den spanischen Hohen
Repräsentanten Carlos Westendorp ab. Petritsch war davor Botschafter in
Belgrad gewesen. Aufgrund seiner diplomatischen Erfahrungen in der
Krisenregion Balkan wurde er Anfang 1999 zum Sonderbeauftragten für das
Kosovo ernannt. Als Hauptunterhändler hatte er die Kosovo-Verhandlungen in
Rambouillet und Paris geführt, wo es ihm gelungen war, die Albaner mit den
Serben an einen Tisch zu bekommen. Profundes Wissen und diplomatisches
Feingefühl sind seine Stärken. In Bosnien-Herzegowina sieht er es als seine
zentrale Aufgabe an, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Seit aber deutlich
wurde, daß viele Politiker der Serben, Bosniaken und Kroaten das
Friedensabkommens nicht einhalten, weiter Spannungen zwischen den
Volksgruppen schüren, hatte die internationale Gemeinschaft das Amt des
Hohen Repräsentanten schon 1997 mit der Vollmacht ausgestattet, Politiker
aus ihren Ämtern entlassen zu können, Gesetze zu erlassen und
propagandistische Medien auszuschalten.
Wolfgang Petritsch: Sie sprechen einen ganz zentralen Punkt
an unserer Arbeit hier, den sich jeder überlegen muß, der hier tätig ist,
meiner Meinung nach. Das ist, daß man zwar robust vorgehen muß dort, wo die
notwendigen technischen physischen Voraussetzungen für einen Staat
geschaffen werden, wie Infrastruktur, Brücken, Eisenbahnen, etc., daß man
darüberhinaus aber sozusagen, wenn es um Überbaufragen geht, wie Kultur,
Tradition, Geschichte, Sprache, Lebensweise, sehr vorsichtig und sehr
sensibel vorgehen muß. Ich habe also, unlängst habe ich gesagt, es ist
notwendig, daß man hier mit einer robusten Sensibilität vorgeht. D.h. also,
daß man versucht, gerade durch die Einbeziehung der Menschen hier, auch sie
zu verstehen. Und in einem permanenten Dialog herausfindet auch, was sie
eigentlich wollen. Denn es wäre sicher sinnlos, wenn man versuchen würde
hier einfach westliche Werte ohne Reflexion zu etablieren.
Einmal im Jahr berichtet der Hohe Repräsentant dem höchsten
Gremium der Internationalen Gemeinschaft dem Friedensimplementierungsrat -
über Fortschritte und Rückschläge in der Entwicklung Bosnien-Herzegowinas.
Ein echter Fortschritt sei aber erst dann möglich, wenn auch die
schrecklichen Ereignisse des Krieges aufgearbeitet würden. Die Massaker von
Srebrenica gelten als die schlimmsten des Bosnien-Krieges.
Wolfgang Petritsch: Es hat ja heuer am 11. Juli der 5.
Jahrestag des Massakers stattgefunden und ich war gemeinsam mit 5000
Überlebenden dort und habe auch mit den Überlebenden dort gesprochen und
versucht, ihnen auch klarzumachen, was unsere Arbeit ist, wie schwierig die
Arbeit auch ist. Immer noch sind von den 7 oder 8000 Ermordeten bis jetzt
erst 4000 gefunden worden. Von diesen 4000 sind erst ein paar hundert
identifiziert worden. Da werden also die neuesten wissenschaftlichen
Methoden der DNA-Analyse angewendet, weil ich der Meinung bin, daß es
gemeinsam mit dem Auffinden von Kriegsverbrechern sind das die wesentlichen
zwei Punkte.
Viele Menschen wissen noch nicht, wo ihre Angehörigen sind.
Immer noch gibt es 20 000 Vermißte. Die Menschen seien nicht fähig, sich der
Zukunft zuzuwenden, solange die Probleme der Vergangenheit noch nicht gelöst
sind. Immer noch seien die Haupkriegsver- brecher nicht hinter Schloß und
Riegel, sind nicht zur Verantwortung gezogen worden, meint Wolfgang
Petritsch. In Sarajevo stehen immer noch Kriegsruinen, an einstmals moderne
Hochhäusern hängen zerfetzte Hausfassaden herunter. Die Straßenbeleuchtungen
funktionieren wieder, Brücken und Eisenbahnen sind wieder aufgebaut, dichter
Verkehr fließt über die breiten Straßen. Zum Stadtbild gehören die schönen
Gebäude aus der Zeit der Ungarisch-Österreichischen Monarchie: die
Nationalbibliothek und das Nationalmuseum, innen noch tot, da noch kein Geld
da ist, den Betrieb wieder aufzunehmen. Geschichtswissenschaftler fühlen
sich durch den Österreicher Petritsch, an die alten Zeiten der
Donaumonarchie erinnert. Tatsächlich gibt es eine traditionsreiche
Verbindung zwischen Österreich und Bosnien-Herzegowina:
Wolfgang Petritsch: An der vorigen Jahrhundertwende war ein
Österreicher als Gouverneur damals, als Statthalter tätig. Heute ist
wiederum ein Österreicher hier tätig. Das ist ein unzulässiger Kurzschluß,
wie ich immer wieder auch betone, weil ich hier eben nicht in einer
imperialistischen Funktion tätig bin, sondern als Vertreter der
internationalen Gemeinschaft eben sozusagen Assistenzdienst leiste, damit
diese Gesellschaft Richtung Europa sich bewegen kann. // Aber dennoch ist es
für viele Menschen hier eine durchaus positive Parallelle, die hier
angesprochen wird.
Die Zeit der Österreichisch-Ungarischen Monarchie so positiv
zu sehen, hinge mit der Neigung der Menschen zusammen, die Vergangenheit im
Nachhinein zu verklären, erklärt Wolfgang Petritsch. Er selbst ist nicht nur
Politikwissenschaftler, sondern auch Historiker. Regelmäßig hält er
Vorlesungen über südosteuropäische Geschichte in Wien ab. Seine slowenische
Herkunft, seine Kenntnisse und langjährigen Erfahrungen als Diplomat, zu
wissen, was es heißt zweisprachig aufgewachsen zu sein, all das kommt ihm
beim Aufbau der zivilen Gesellschaft in Bosnien-Herzegowina zugute. Das
erklärt sein besonderes Verständnis für die Lage des eigentlich nicht so
großen Landes :
Wolfgang Petritsch:Das alles muß berücksichtigt werden /.
Das ist mir als Historiker ein besonderes Anliegen, das ist mir als jemand,
der aus einem Land kommt, das relativ klein ist und auch natürlich um
sozusagen um Selbstständigkeit / ringt und versucht sich sozusagen in der
globalisierten Gesellschaft zu etablieren als etwas unverkennbares - ich
meine daß man das hier sehr stark auch berücksichtigen sollte. Ich glaube,
es wäre ein Mißerfolg, wenn wir nach Jahren rausgehen würden und sagen
würden, Bosnien ist eigentlich jetzt so wie Österreich oder Deutschland.
Das wäre ein Mißerfolg. Bosnien muß das, was hier originär ist, dem muß man
die Chance und die Möglichkeit geben, daß sich das entfaltet. Das ist der
eigentliche Beitrag Bosniens auch zur europäischen Kultur und zur
europäischen Lebensweise.
Bis Mitte Dezember wird es auf dem Balkan fast jedes
Wochenende irgendwo Wahlen geben. Für die jetzt in Bosnien-Herzegowina
anstehenden Wahlen des Parlamentes und des neuen Präsidenten der
Teilrepublik Srpska hofft Wolfgang Petritsch auf eine Fortsetzunge des
demokratischen Wandels. Noch immer spielen auch die Nationalisten eine
Rolle, sie versuchen immer noch, künstliche Mauern zwischen sich und die
anderen Volksgruppen zu ziehen. Die auch in Bosnien tätige OSZE - die
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa - , hat aber in
einer Umfrage unlängst herausgefunden, daß gerade rund zehn Prozent der
Bürger noch die Natonalitätenfrage für wichtig halten, 79 Prozent halten es
für ein wichtigeres Problem, sich um den wirtschaftlichen Wiederaufbau zu
kümmern.
Seit Wochen laufen die Vorbereitungen für die
Parlamentswahlen in Bosnien-Herzegowina auf Hochtouren. Die OSZE - die
Organisation für Sicherheit und Zuammenarbeit in Europa - und das OHR, das
Büro des Hohen Repräsentaten mit seinen 16 Unterbüros bewältigen diese
Aufgabe gemeinsam.
Ob er sich vor Jahren, zum Beispiel als er noch im Auftrag
Österreichs bei der UNO in New York tätig war, jemals hätte träumen lassen,
einmal an einem solchen zivilen Aufbau einer Gesellschaft mitzuwirken? Der
Hohe Repräsentant in Bosnien-Herzegowina, Wolfgang Petritsch:
Ich würde sagen, nein. Aber ich würde sagen, daß es
eigentlich ein Traumjob ist. Es ist ein unglaublich anstrengender, eine
unglaubliche Herausforderung, aber man hat doch den Eindruck, daß man hier
Dinge bewegen kann, daß man etwas dazu beitragen kann, daß ein Land, eine
Gesellschaft, sozusagen wieder auf die Beine kommt. Und das ist das schöne
an dieser Aufgabe.
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