21.12.2001 Profil / Nezavisne Novine
Wolfgang Petritsch

Jugoslawien. Wolfgang Petritsch über die Auslieferung von Slobodan Milosevic nach Den Haag am 28. Juni 2001“Mythenzertrümmerung”

Die Überstellung von Jugoslawiens Expräsidenten Slobodan Milosevic an den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag fand am Sankt-Veits-Tag statt, jenem mythenbefrachteten 28. Juni, an dem schon so vieles in der serbischen Geschichte passierte: die Schlacht am Amselfeld – dem Kosovo – im Jahr 1389, die Ermordung des Thronfolgers Franz-Ferdinand 1914 und schließlich Milosevics eigene Rede am Amselfeld am 28. Juni 1909, mit der das jugoslowische Drama begann. Die Wiederkehr dieses historischen Datums hat für die Serben große Bedeutung. Vielleicht wird daraus der bewusste Versuch einer Mythenzertrümmerung, die am Beginn jeder echten Reform in Serbien stehen müsste.

Es war wichtig, unter das Kapitel der Unbesiegbarkeit des “Führers” Milosevic einen Schluss-strich zu ziehen, und ebenso wichtig, dass dies durch seine eigenen Landsleute geschah, die ihn verhafteten. Das hat den Anstoß fur eine Demokratisierung der serbischen Institutionen gegeben.

Der internationale Gerichtshof zur Untersuchung von Kriegsverbrechen ist von großer Bedeutung für die Weiterentwicklung des inernationalen Rechts und der Menschenrechte. Gleichzeitig war die Auslieferung von Milosevic an Den Haag der Wiedereinstieg Jugoslawiens in die internationale Völkergemeinschaft.

Geblieben ist bis zu einem gewissen Grad die Suche nach einem eigenen serbischen Weg, der historisch als Mythos des “dritten Wegs” zwischen Ost und West im Schwange war. Ich habe dieses Gefühl jetzt auch in Bosnien mitbekommen: “Wir” sind irgendwo Auserwählte eines dritten Weges. Das steckt noch in vielen Köpfen und ist guasi die zivilisierte Form des serbischen Nationalismus. Der wichtigste Fortschritt wäre, dass man vom Traum eines großserbischen Reichs wegkommt, hin zu einem normalen Nationalstaat des 20. und 21 Jahrhunderts. Milosevic hatte ja stets auf die blutige Romantik der zwanziger und dreißiger Jahre zurückgegriffen.

Bei meiner ersten Zusammenkunft mit ihm habe ich die Kooperation Jugoslawiens mit Den Haag eingemahnt, was bei ihm auf erbitterten Widerstand und wütende Ablehnung stieß. Die Ironie der Geschichte: Er sitzt jetzt dort.

Wolfgang Petritsch, 54, Historiker, studierte südost-europäische Geschichte in Wien und Los Angeles, war Sekretär von Bundeskanzeler Bruno Kreisky, österreichischer Botschafter in Jugoslawien und ist seit August 1999 “Hoher Repräsentant” der internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina.