08.11.2000 SWR 1 Radio
Sabine Rumpf

Interview: Wolfgang Petritsch, the High Representative”Portrait Wolfgang Petritsch”

Ein typischer Tag beginnt bei mir in der Frühe. Da lese ich einmal die zwei großen Tageszeitungen, die es hier in Sarajevo gibt: Oslobodjenje und Dnevni Avaz. Schau mir an, was da drinnen steht, komm dann ins Büro, da gibt`s dann eine erste große Besprechung mit allen Abteilungsleitern und mit der Presse und dann beginnen dann eben im Stunden- oder im Halbstundentakt die Termine im Haus hier und zwischendurch Telefongespräche, Besuche bei den hiesigen Politikern, Präsidenten, Premierminister, um eben einzelne Themen zu besprechen. Individuelle Gespräche mit meinen Abteilungsleitern zu den großen Themen: Wirtschaft, Flüchtlingsrückkehr, Institutionenbesprechungen, Strategiebesprechungen, dann sehr oft versuch` ich rauszukommen, um eben meine anderen 16 Büros zu besuchen, die es in Bosnien gibt und immer wieder – ich glaube sicher 30 % meiner Zeit – muß ich auch im Ausland verbringen, in Brüssel, bzw. in den wichtigen Hauptstädten Washington, Moskau, Berlin, und so weiter, um dort die jeweiligen Regierungen über den Fortschritt zu informieren, sie weiterzumotivieren unsere Arbeit hier zu unterstützen.

Wolfgang Petritsch ist Hoher Repräsentant in Bosnien-Herzegowina. Wer er ist und was er eigentlich genau macht, scheint – zumindest in Deutschland – irgendwie weniger bekannt zu sein. Wenn von den Problemen Bosnien-Herzegowinas, oder Ex-Jugoslwiens, oder dem Balkan insgesamt die Rede ist, fällt den Deutschen zuerst der Balkankoordinator Bodo Hombach oder der für die heimkehrenden Flüchtlinge engagierte Hans Koschnick ein. Der Hohe Repräsentant hat die Aufgabe, im Auftrag der Internationalen Gemeinschaft die Umsetzung des Friedensabkommens von Dayton zu beobachten und zu unterstützen:

Wolfgang Petritsch: Ja, also einerseit habe ich – wie Sie richtig erwähnen – aufgrund meiner Koordinationsfunktion für den gesamten zivilen Bereich der internationalen Gemeinschaft hier sehr viel mit anderen internationalen Organisationen: UNO, OSZE, und viele andere Hilfsorganisationen zu tun. Natürlich ganz wichtig auch die engen Kontakte mit dem militärischen Teil der internationalen Präsenz hier. Mit der SFOR. Aber was mir wirklich am Herzen liegt, ist der enge Kontakt mit den Menschen. Ich habe durch den – wie ich meine, wirklich ausgezeichneten Kontakt meiner Mitarbeiter – einen sehr guten Überblick über die Entwicklung in dem Lande, aber die wirklich Information, die ja sehr stark, für mich auch, von Gefühlen bestimmt ist, kriege ich durch direkten Kontakte mit den Menschen und ich fahr`so oft wie möglich hinaus, besuche Flüchtlingsrückkehrer, versuche zu sprechen mit den sogenannten Durchschnittsbürgern dieses Landes, versuche ihre Wünsche, ihre Ängste, ihre Vorstellungen zu erfahren und versuche auch mittzuteilen, (ihnen mitzuteilen), was möglich ist, und was nicht möglich ist. Was die internationale Gemeinschaft leisten kann, und was sie nicht leisten kann. Das halte ich für besonders wichtig, auch wiederum, wie ich vorhin gesagt habe, um die Menschen zu gleichberech- tigten Partnern zu machen. Sie in das Bewußtsein zu heben, daß sie in einer Welt leben, wo es auf jeden einzelnen ankommt und der Staat B.-H. nur dann eine Chance hat, sich inernational auch dann erfolgreich zu schlagen, wenn jeder einzelne in dem Lande sich auch als Bürger begreift und nicht bloß als Untertan.

Wolfgang Petritsch gehört derselben Generation an wie Außenminister Joschka Fischer. Ihn einen `Diplomaten alter Schule` zu nennen hieße ihn falsch zu charakterisieren. In der Nachkriegszeit geboren, geprägt von dem Wunsch nach einem friedlichen Zusammenleben, gehört er wohl eher zu den Diplomaten der neueren Schule. Als Hoher Repräsentant wirkt er jetzt an der politischen und wirtschaftlichen Neugestaltung eines Landes mit, dessen Menschen aufgrund jahrzehntelanger Tradition seiner Meinung nach immer noch viel zu viel `von oben` erwarten. Das Büro des Hohen Repräsentanten ist in einem Supermodernen Bürogebäude in Sarajevo untergebracht, umringt von hohen Mauern und Sicherheitsanlagen. Wer das Haus betreten will, muß sich zuerst auf Waffen durchsuchen lassen, dann am Empfang seinen Ausweis abgeben, um dann ins Gebäudeinnere geleitet zu werden. Ein scharfer Kontrast: der Wille, einem darniederliegenden, armen Land auf die Beine helfen zu wollen, und dann die ständige Präsenz bewaffneten Militärs.

Wolfgang Petritsch: Also ich mußt Ihnen offen sagen, ich bin nicht sehr glücklich über die zwei Meter hohen Betonwände, die hier mein Bürogebäude umgeben, aber das ist aus einer anderen Zeit, in einer anderen Zeit noch geplant worden. In der Tat ist die Sicherheitssituation wesentlich besser geworden. Auch für die internationalen Vertreter sehe ich hier keine allzu große Gefahr des Terrorismus oder anderer physischer Bedrohungen. Aber es ist halt ein Faktum. Für mich ist es auch ein Faktum, die Mauern, die zweifellos existieren zwischen der internationalen Gemeinschaft, die hier im Lande tätig ist und der lokalen Bevölkerung, niederzureißen. Das ist ein Grund gewesen, warum ich von Anfang an auch in den Landessprachen über das Fernsehen mit den Menschen hier in Kontakt zu treten. Sie direkt anzusprechen, in ihrer eigenen Sprache, um ihnen auch das Gefühl zu geben, daß sie gleichberechtigte Partner sind im Wiederaufbau.

Fast fünf Jahre ist der Krieg vorbei. Die Einschußlöcher in den Gebäuden der Umgebung sind noch genauso, wie sie immer und immer wieder während des Krieges im Fernsehen übertragen worden waren. Am Geländer der Brücke über den Fluß ein kleines Mahnmal mit frischen Blumen: genau hier war es, wo das erste Opfer fiel – ein dreizehnjähriges Mädchen, 1992 von Serben auf offener Straße erschossen.

Der Hohe Repräsentant Wolfgang Petritsch ist Österreicher slowenischer Herkunft, in Kärnten aufgewachsen – zweisprachig. Er hat in südosteuropäischer Geschichte promoviert und gilt als ausgesprochener Kenner des Balkans. Im August letzten Jahres löste er den spanischen Hohen Repräsentanten Carlos Westendorp ab. Petritsch war davor Botschafter in Belgrad gewesen. Aufgrund seiner diplomatischen Erfahrungen in der Krisenregion Balkan wurde er Anfang 1999 zum Sonderbeauftragten für das Kosovo ernannt. Als Hauptunterhändler hatte er die Kosovo-Verhandlungen in Rambouillet und Paris geführt, wo es ihm gelungen war, die Albaner mit den Serben an einen Tisch zu bekommen. Profundes Wissen und diplomatisches Feingefühl sind seine Stärken. In Bosnien-Herzegowina sieht er es als seine zentrale Aufgabe an, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Seit aber deutlich wurde, daß viele Politiker der Serben, Bosniaken und Kroaten das Friedensabkommens nicht einhalten, weiter Spannungen zwischen den Volksgruppen schüren, hatte die internationale Gemeinschaft das Amt des Hohen Repräsentanten schon 1997 mit der Vollmacht ausgestattet, Politiker aus ihren Ämtern entlassen zu können, Gesetze zu erlassen und propagandistische Medien auszuschalten.

Wolfgang Petritsch: Sie sprechen einen ganz zentralen Punkt an unserer Arbeit hier, den sich jeder überlegen muß, der hier tätig ist, meiner Meinung nach. Das ist, daß man zwar robust vorgehen muß dort, wo die notwendigen technischen physischen Voraussetzungen für einen Staat geschaffen werden, wie Infrastruktur, Brücken, Eisenbahnen, etc., daß man darüberhinaus aber sozusagen, wenn es um Überbaufragen geht, wie Kultur, Tradition, Geschichte, Sprache, Lebensweise, sehr vorsichtig und sehr sensibel vorgehen muß. Ich habe also, unlängst habe ich gesagt, es ist notwendig, daß man hier mit einer robusten Sensibilität vorgeht. D.h. also, daß man versucht, gerade durch die Einbeziehung der Menschen hier, auch sie zu verstehen. Und in einem permanenten Dialog herausfindet auch, was sie eigentlich wollen. Denn es wäre sicher sinnlos, wenn man versuchen würde hier einfach westliche Werte ohne Reflexion zu etablieren.

Einmal im Jahr berichtet der Hohe Repräsentant dem höchsten Gremium der Internationalen Gemeinschaft dem Friedensimplementierungsrat – über Fortschritte und Rückschläge in der Entwicklung Bosnien-Herzegowinas. Ein echter Fortschritt sei aber erst dann möglich, wenn auch die schrecklichen Ereignisse des Krieges aufgearbeitet würden. Die Massaker von Srebrenica gelten als die schlimmsten des Bosnien-Krieges.

Wolfgang Petritsch: Es hat ja heuer am 11. Juli der 5. Jahrestag des Massakers stattgefunden und ich war gemeinsam mit 5000 Überlebenden dort und habe auch mit den Überlebenden dort gesprochen und versucht, ihnen auch klarzumachen, was unsere Arbeit ist, wie schwierig die Arbeit auch ist. Immer noch sind von den 7 oder 8000 Ermordeten bis jetzt erst 4000 gefunden worden. Von diesen 4000 sind erst ein paar hundert identifiziert worden. Da werden also die neuesten wissenschaftlichen Methoden der DNA-Analyse angewendet, weil ich der Meinung bin, daß es gemeinsam mit dem Auffinden von Kriegsverbrechern sind das die wesentlichen zwei Punkte.

Viele Menschen wissen noch nicht, wo ihre Angehörigen sind. Immer noch gibt es 20 000 Vermißte. Die Menschen seien nicht fähig, sich der Zukunft zuzuwenden, solange die Probleme der Vergangenheit noch nicht gelöst sind. Immer noch seien die Haupkriegsver- brecher nicht hinter Schloß und Riegel, sind nicht zur Verantwortung gezogen worden, meint Wolfgang Petritsch. In Sarajevo stehen immer noch Kriegsruinen, an einstmals moderne Hochhäusern hängen zerfetzte Hausfassaden herunter. Die Straßenbeleuchtungen funktionieren wieder, Brücken und Eisenbahnen sind wieder aufgebaut, dichter Verkehr fließt über die breiten Straßen. Zum Stadtbild gehören die schönen Gebäude aus der Zeit der Ungarisch-Österreichischen Monarchie: die Nationalbibliothek und das Nationalmuseum, innen noch tot, da noch kein Geld da ist, den Betrieb wieder aufzunehmen. Geschichtswissenschaftler fühlen sich durch den Österreicher Petritsch, an die alten Zeiten der Donaumonarchie erinnert. Tatsächlich gibt es eine traditionsreiche Verbindung zwischen Österreich und Bosnien-Herzegowina:

Wolfgang Petritsch: An der vorigen Jahrhundertwende war ein Österreicher als Gouverneur damals, als Statthalter tätig. Heute ist wiederum ein Österreicher hier tätig. Das ist ein unzulässiger Kurzschluß, wie ich immer wieder auch betone, weil ich hier eben nicht in einer imperialistischen Funktion tätig bin, sondern als Vertreter der internationalen Gemeinschaft eben sozusagen Assistenzdienst leiste, damit diese Gesellschaft Richtung Europa sich bewegen kann. // Aber dennoch ist es für viele Menschen hier eine durchaus positive Parallelle, die hier angesprochen wird.

Die Zeit der Österreichisch-Ungarischen Monarchie so positiv zu sehen, hinge mit der Neigung der Menschen zusammen, die Vergangenheit im Nachhinein zu verklären, erklärt Wolfgang Petritsch. Er selbst ist nicht nur Politikwissenschaftler, sondern auch Historiker. Regelmäßig hält er Vorlesungen über südosteuropäische Geschichte in Wien ab. Seine slowenische Herkunft, seine Kenntnisse und langjährigen Erfahrungen als Diplomat, zu wissen, was es heißt zweisprachig aufgewachsen zu sein, all das kommt ihm beim Aufbau der zivilen Gesellschaft in Bosnien-Herzegowina zugute. Das erklärt sein besonderes Verständnis für die Lage des eigentlich nicht so großen Landes :

Wolfgang Petritsch:Das alles muß berücksichtigt werden /. Das ist mir als Historiker ein besonderes Anliegen, das ist mir als jemand, der aus einem Land kommt, das relativ klein ist und auch natürlich um sozusagen um Selbstständigkeit / ringt und versucht sich sozusagen in der globalisierten Gesellschaft zu etablieren als etwas unverkennbares – ich meine daß man das hier sehr stark auch berücksichtigen sollte. Ich glaube, es wäre ein Mißerfolg, wenn wir nach Jahren rausgehen würden und sagen würden, Bosnien ist eigentlich jetzt so wie Österreich oder Deutschland. Das wäre ein Mißerfolg. Bosnien muß das, was hier originär ist, dem muß man die Chance und die Möglichkeit geben, daß sich das entfaltet. Das ist der eigentliche Beitrag Bosniens auch zur europäischen Kultur und zur europäischen Lebensweise.

Bis Mitte Dezember wird es auf dem Balkan fast jedes Wochenende irgendwo Wahlen geben. Für die jetzt in Bosnien-Herzegowina anstehenden Wahlen des Parlamentes und des neuen Präsidenten der Teilrepublik Srpska hofft Wolfgang Petritsch auf eine Fortsetzunge des demokratischen Wandels. Noch immer spielen auch die Nationalisten eine Rolle, sie versuchen immer noch, künstliche Mauern zwischen sich und die anderen Volksgruppen zu ziehen. Die auch in Bosnien tätige OSZE – die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa – , hat aber in einer Umfrage unlängst herausgefunden, daß gerade rund zehn Prozent der Bürger noch die Natonalitätenfrage für wichtig halten, 79 Prozent halten es für ein wichtigeres Problem, sich um den wirtschaftlichen Wiederaufbau zu kümmern.

Seit Wochen laufen die Vorbereitungen für die Parlamentswahlen in Bosnien-Herzegowina auf Hochtouren. Die OSZE – die Organisation für Sicherheit und Zuammenarbeit in Europa – und das OHR, das Büro des Hohen Repräsentaten mit seinen 16 Unterbüros bewältigen diese Aufgabe gemeinsam.

Ob er sich vor Jahren, zum Beispiel als er noch im Auftrag Österreichs bei der UNO in New York tätig war, jemals hätte träumen lassen, einmal an einem solchen zivilen Aufbau einer Gesellschaft mitzuwirken? Der Hohe Repräsentant in Bosnien-Herzegowina, Wolfgang Petritsch:

Ich würde sagen, nein. Aber ich würde sagen, daß es eigentlich ein Traumjob ist. Es ist ein unglaublich anstrengender, eine unglaubliche Herausforderung, aber man hat doch den Eindruck, daß man hier Dinge bewegen kann, daß man etwas dazu beitragen kann, daß ein Land, eine Gesellschaft, sozusagen wieder auf die Beine kommt. Und das ist das schöne an dieser Aufgabe.